Spielestudio · Test
Veröffentlicht am 19.06.2021 vonAndreas Erber
Interaktiver Lernprozess
Konsumenten virtueller Welten haben es ziemlich einfach: Der Weg ins Geschäft eures Vertrauens oder ein Blick in den digitalen Store ebnen den Zugang zur unüberschaubar großen Auswahl an Videospielen. Zuhause gemütlich vor dem TV oder direkt unterwegs mit einem Handheld können die virtuellen Tauchgänge gestartet werden.
Doch wie viele Hebel müssen schlussendlich in Gang gebracht werden, damit ein Videospiel überhaupt spielbar ist und in den Shops landet?
Neben der Vermarktung und Logistik nimmt vor allem die eigentliche Entwicklung eines Videospiels den größten Teil des Kuchens ein. Die Entwickler sind für die Story, Gameplay, Grafik sowie Soundtrack verantwortlich und müssen mit Hilfe ihres Know-How so einiges unter Beweis stellen.
Nintendo will genau diesen Prozess den Gamern näherbringen, beziehungsweise die Spieler zu Entwickler und Entdecker machen.
Mit dem Titel "Spielstudio" wird die hohe Kunst der Programmierung erklärt und in Form von Herausforderungen überprüft. Richtig gelesen, Ihr müsst anstatt gemütlich zu zocken das Game erstellen. Ihr programmiert Spiele, die mit Hilfe eines interaktiven Lernprozesses realisiert werden. Dabei peilt Nintendo eher die jüngere Generation an, was natürlich nicht bedeuten soll, dass nicht auch die erfahrenen Spieler ihren Spaß an der Produktion haben würden.
Hinter den Kulissen
Die Aufmachung des Spiels ist eher für Programmier-Neulinge gedacht, was nicht zuletzt auch an den leicht verständlichen Textsprechblasen liegt. Alice, so nennt sich der virtuelle Support, erklärt und führt die Spieler:innen durch die Programmierschule. So niedlich und süß die Erklärungen auch verpackt wurden, aber die häufigen Wiederholungen nerven mit der Zeit dann doch etwas. Dies fällt vor allem zu Beginn bei der ersten Aufgabenstellung stark ins Gewicht.
Aufgeteilt wird das Hauptmenü in 2 Bereiche: Interaktive Lektionen und freies programmieren. Letzteres wird erst zu einem späteren Zeitpunkt freigeschaltet. Zuvor sollen die Lektionen Schritt für Schritt alles wichtige erklären. Nachdem die etwas zähe Anfangslektion "Erste Schritte" bewältigt wurde, können mehrere Programmier-Aufgaben gelöst werden, die nacheinander freigeschaltet werden müssen.
Lektion 1: Wilde Jagd
Erstelle ein Zwei-Spieler-Fangspiel, um die Grundlagen der Programmierung zu lernen! Praktisch ist die Angabe der voraussichtlichen Dauer, die in dieser Lektion ca. 40 Minuten dauern soll. Doch keine Sorge, die „Wilde Jagd“ wird in 7 Abschnitten unterteilt. Schritt 1 ist die Spielsteuerung. Bob, ein blauer Flitzball, erklärt das Spielprinzip. Eine Vorschau, zeigt das gewünschte Endprodukt.
In dem Spiel "Wilde Jagd" müssen Fänger versuchen den Läufer zu erwischen, während beide Figuren acht vor der Ball-Lawine geben müssen. Eine Berührung solch eines Balles kostet das Leben des Fängers oder Läufers.
Los geht es im Bearbeitungsmodus. Bob zählt in den Sprechblasen die ersten notwendigen Schritte für die Erstellung dieses Spiels vor.
Kurzer Tipp: Nein, euer Spiel ist nicht voller Bugs und der Controller auch nicht defekt. Die Sprungtaste (B-Taste) funktioniert erst, wenn diese programmiert wurde! Somit bringt auch eine Neuinstallation nicht, falls jemand auf diesen Gedanken gekommen sein sollte. Bewegt euch ein wenig hin und her, danach hilft euch das Spiel weiter.
- Zuerst brauchen die Spieler:innen eine Spielfigur.
Für diesen Fall ist ein Männchen-Knotix genau richtig. Unter dem Punkt "Objekt" > "Figur" > "Männchen" kann das Knotix ausgewählt werden. Zwar ist nach Positionierung die Spielfigur sichtbar, doch beim Bewegen des linken Joysticks tut sich nichts. Die Figur bleibt leblos. Um dies zu ändern sind Programmierkünste gefragt. Es muss Bewegung ins Spiel kommen! - Unter Eingabe > Control Stick > L-Stick > Link/Rechts wird ein sogenanntes Stick-Knotix erstellt.
Mit dem Finger lässt sich per Wischbewegung auf dem Touchscreen eine Verbindung zwischen den beiden Knotix einrichten. Der Linke Stick mit der Aktion "Links/Rechts" bewegt den Protagonisten, bei dieser Verbindung, nach links und rechts. Selbstverständlich würden noch weitere Aktionen zur Auswahl stehen, die in anderen Aufgabenstellungen oder im freien Modus zur Verwendung kommen könnten. Springen, Vor- /Rückwärts, ... - Zurück im "Play-Modus" können die erstellten Knotix-Verbindungen direkt, ohne Ladezeit, ausprobiert werden. Wurde die Verbindung richtig gesetzt müsste sich die Figur nun nach links und rechts bewegen lassen.
- Eine Figur ohne Sprung-Funktion wäre doch langweilig oder? Um die Sprung-Aktion zu aktivieren müssen die Spieler:innen zurück in den Bearbeitungsmodus. Unter dem Menüpunkt "Eingabe" kann ein Knopf-Knotix ausgewählt werden, der die Figur mit einem Druck auf die B-Taste in die Höhe springen lässt.
- Fertig ist die Spielfigur, die in 2 Richtungen laufen und gleichzeitig Sprünge ausführen kann. Jetzt fehlt noch das Level, in dem sich die Figur frei bewegen kann. Böden, Wände und weitere Hindernisse sowie Dekorationen können im Anschluss mit Hilfe des Spielbildschirm-Knotix gesetzt werden.
- Danach gilt es eine zweite Spielfigur zu erstellen. Alleine würde das Fangenspiel ja nicht so funktionieren. Der linke und rechte Joystick wird jeweils zu einem vollwertigen Controller umprogrammiert.
- Farblich sollte ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Spielfiguren gewählt werden, um Täuschungen zu vermeiden. Eine blaue und eine rote Figur lassen sich optisch deutlich auseinanderhalten.
- Eine Figur fängt die andere, aber es passiert nichts? Kein Wunder, eine Aktion muss her! Konfiguriert eine Figur als zerstörerisch und eine als zerbrechlich. Sobald der Fänger die Beute erfasst, explodiert diese.
- Das eigentliche Spielprinzip ist damit fertig und das eigens erstellte Game wird im weiteren Verlauf durch weiter Features aufgestockt und verbessert. Immerhin wäre es ja unfair, wenn immer nur eine Spielfigur verlieren müsste. Durch die Beigabe von rollenden Bällen, die dem Jäger Schaden zufügen können, ändert sich die Ausgangsposition. Ein faires Zweispieler-Game entsteht.
Der Kreativität wird spätestens im freien Modus keine Grenzen gesetzt. Knotixe gibt es wie Sand im Meer und können einen auch gerne mal durcheinanderbringen, weshalb eine ordentliche Struktur auf jeden Fall vorteilhaft wäre.
Grenzen gibt es dafür bei den Naturgesetzen, die eingehalten werden sollten. Beispielsweise kann ein zu kleiner Durchgang das Level in eine Sackgasse führen und der Fehler/Bug muss gefunden und behoben werden. Nur so ist ein erfolgreicher Abschluss einer Mission durchführbar. In diesem Beispiel wäre entweder der Durchgang zu klein oder die Spielfigur zu groß, beides lässt sich verändern.
AAA-Games ("Triple-A Games") sind selbstverständlich viel aufwendiger zu programmieren und eine ganz andere Liga. In Spielstudio sind im Grunde die Animationen vorgefertigt. Aktionen wie Sprunganimationen, Explosionen etc. müssen bei den richtigen Entwicklerstudios natürlich ebenfalls programmiert werden. Doch diese Feinheiten hätte den Rahmen dieses Spiels für nur knapp 29,99€ (UVP) gesprengt.
Zurück zu Spielstudio. Ein richtig geniales Feature ist das Teilen von erstellten Spielen. Sobald euer eigenes Spiel fertig geworden ist, kann dieses online mit der Community geteilt werden. Freunde und Menschen aus aller Welt können dein Game entdecken und direkt spielen. Wie cool ist das denn?
Zusätzlich lassen sich die Spiele bewerten und zur eigenen Favoritenliste hinzufügen.
Gameplay & Steuerung
Praktisch ist, dass sich die Menüführung im Bearbeitungsmodus per Touch bedienen lässt. Somit können schnell und problemlos mehrere Knotix-Verknüpfungen gesetzt werden. Im Spiel selbst kommen selbstverständlich wieder die Tasten und Joysticks in Verwendung.
Allgemein ist Spielstudio sehr übersichtlich gehalten und lässt selbst ohne dem eher langwierigen Tutorial keinerlei Fragen offen. Ja, das Tutorial hätte jedenfalls kürzer ausfallen müssen. Das ständige Durchklicken von einer Sprechblase in die Nächste nervt.
Vorteilhaft ist die Kopier-Funktion, die ganz einfach das Vervielfältigen von Böden und Gegenständen zulässt. Mehrere Böden können dadurch kurzerhand in mehreren Ebenen und Positionen platziert werden. In wenigen Sekunden entstehen mehrere Laufwege. Diese Plattformen kennt man bereits aus den diversen Ablegern der Super Mario Serie. Die Größeneinstellung ist dank des Touchfeldes sehr intuitiv. Mit nur einem Finger lassen sich die verschiedensten Formen verwirklichen.
Unser Tipp: Warum versucht Ihr nicht mal einen bekannten Level aus eurem Lieblingsgame nachzubauen?
Etwas komplizierter wird es beispielsweise bei den Objekt-Einstellungen. Hier sind enorm viele Parameter justierbar. Form des Objekts (Quader, Zylinder, Kugel), Eigenschaften (sichtbar, fest, beweglich, zerstörbar, ...) oder auch die Farbe fallen in diese Optionen. Genau hier wird es dann etwas schwieriger und detailreicher.
Gerade bei der jüngeren Generation wird dadurch die teilweise verlorengegangene Fantasie wiederbelebt.
Ich spreche für "Spielstudio" eine absolute Kaufempfehlung aus, da neben actionreichen 0815 Games auch mal die Kreativität in einem Videospiel voll ausgeschöpft werden kann. Ein wahrer Geheimtipp an alle Eltern da draußen, die auf der Suche nach einem interessanten Nintendo Switch Spiel sind. Und wer weiß, vielleicht steckt ja in euren Kindern ein Naturtalent für das Programmieren der nächsten Spielperlen?
Grafik & Sound
Optisch erinnert Spielstudio stark an "Mario Maker 2". Wer jetzt denkt, ja gut warum dann nicht gleich zu „Mario Maker 2“ greifen, muss eines berücksichtigen. Zwar lassen sich in beiden Games Spielwelten erstellen, doch die vielschichtigen Bewegungs-Aktionen und individuellen Spielfiguren lassen sich nur in Spielstudio nach euren Wünschen zum Leben erwecken. 3D-Welten sind in Spielestudio kein Problem, doch der Detailgrad und die Auflösung können mit "Mario Maker 2" nicht mithalten. Wer lediglich Levels erstellen möchte, wird bei "Mario Maker 2" besser aufgehoben sein, da das Erstellen eines Games in Spielstudio etwas trockener und steriler ausfällt. Dafür hat das Spielestudio Game viel mehr Potential und birgt viele unentdeckte Möglichkeiten.
Die Musik ist absolut Nintendo-Like und wartet mit fröhlichem Reggae, Jazz, Twist Phrasen auf. Auch Soundeffekte sind ebenfalls ersten Grades mit Spielen wie Super Mario, Pokémon und Co verwandt.
Selbst die großartige Vibration-Funktionen der Nintendo Switch lassen sich programmieren. Ob man daraus auch einen Song mit Hilfe der unterschiedlichen Vibrationsstärken komponieren könnte? Die Kreativität kennt hier tatsächlich kaum Grenzen!
Fazit
Spielstudio ist weitaus mehr als nur ein Spiel. Es ist ein virtueller Platz, an dem junge wie auch ältere Videospielbegeisterte ihre Ideen und Visionen virtuell zum Leben erwecken können. Allgemein sind die Spiele eher mit einfachen Mini-Games zu vergleichen, wobei selbst mit den einfachsten Mitteln geniale Videospiele entstehen können. Grafisch erinnert uns das Game vom Farbschema her stark an Mario Maker 2 und auch das Spielprinzip ist ähnlich, wobei es hier vorrangig um die eigentliche Programmierung geht. Zwar sind die Games in richtigen 3D-Welten programmierbar, doch können diese optisch mit Mario Maker 2 nicht mithalten. Die Soundtracks und Effekte sind Nintendo-Typisch und fügen sich passend in das Spielprinzip ein. Richtig genial ist die Share-Funktion. Die fertig erstellen Spiele der Spieler:innen können problemlos online mit andern Usern geteilt, gespielt und bewertet werden. Ähnlich wie in Mario Maker 2 kommen dadurch schier unendlich viele Gamevariationen zum Vorschein.
Spielstudio kann jedem empfohlen werden, der einen Funken Interesse an die Erstellung eines Videospiels hat.
Pro
- sehr kreativ für Jung und Alt
- Programmierung mit fast unendlich vielen Möglichkeiten
- Grafik ist passend für dieses Spielprinzip
- Nintendo-Typische Soundtracks und Soundeffekte
- Share-Funktion, teilt eure Spiele mit der Community und bewertet diese
- ein Game mit Lerneffekt
Contra
- leider lässt sich (noch) kein richtiger Online- oder Koop-Modus erstellen
Wertung
9.5Hervorragend
Kaufempfehlung
100%Absoluter Pflichtkauf
Getestet wurde Spielestudio auf Switch von Andreas Erber. Das Spiel lag uns zum Zeitpunkt von unserem Test in Version1.0.1 vor. Das Test Exemplar / der Review Code für Spielestudio wurde uns von Nintendo kostenlos zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!