Sea of Solitude · Test
Veröffentlicht am 09.07.2019 von Andreas Erber
Ich versuche immer noch es zu verstehen. Aber ich schaff's nicht... ich bin total zerrissen.
Einsamkeit ist ein Lebensgefühl, welches oft in der Gesellschaft so gut es geht verdrängt wird. Leider wird zu selten über dieses weit verbreitete Gefühl gesprochen. Allein sein kann zwar den Menschen eine Gewisse innere Ruhe verleihen und somit einen durchaus positiven Aspekt haben, doch wie in so vielen Dingen auf der Welt kommt es auf die richtige Dosis an. Wer zu viel alleine vor sich hin lebt wird von der Gesellschaft verdrängt oder gar auch verspottet. Diese Lebenssituation verwandelt einen schneller in einen sogenannten Außenseiter, als einen lieb ist. Doch ist es nicht so, dass diese Menschen oft nur als Außenseiter abgestempelt werden, da sie im Grunde etwas Besonderes sind, eine ganz besondere Gabe besitzen oder einfach anders auf uns wirken?
Jo-Mei Games hat sich das brisante Thema zur Aufgabe gestellt und präsentiert zusammen mit Publisher Electronic Arts einen einzigartigen Titel namens "Sea of Solitude". Jo-Mei ist ein motiviertes deutsches Softwareentwickler-Studio aus Berlin welches sehr viel Ideenreichtum und Innovationen in das Projekt gesteckt hat. Cornelia Geppert greift das Thema "Einsamkeit" gekonnt auf und erschafft mit ihrem Entwicklerteam eine derart dichte Erzählweise und Atmosphäre zugleich, dass es einem in einer Schockstarre ganz kalt über den Rücken läuft. Es handelt sich also um einen wahren Geheimtipp! Doch um was geht es jetzt denn genau in diesem kostbaren Stück Software und wie spielt es sich eigentlich?
Es ist wieder so finster. Kay... stell dich deinen Ängsten. Folge dem Licht!
Finster, Düster und in jeder Hinsicht unheimlich beginnt das Spiel. Völlig im Dunkeln wird ein ganz in schwarz gehaltenes Mädchen mit etwas gruseligen, roten Augen sichtbar. Ihr Name ist Kay.
Das psychisch zerrissene Mädchen liegt orientierungslos in einem Holzboot, welches auf unbekanntem Gewässer vor sich hintreibt. Nur langsam richtet sich Kay auf und versucht sich zu sortieren. Die ganze Landschafft ist in einen grauschwarzen Schleier verhüllt. Lediglich ihre leuchtenden Augen und ihr oranger Rucksack mit olivgrünen Riemen knallen uns direkt ins Auge. Doch der erste Eindruck der etwas seltsamen Kay trügt. Hinter dieser schwarzen Einsamkeit verbirgt sich etwas Lebenswichtiges. Nämlich Hoffnung. Eine fremde Stimme aus dem Off lockt Kay zu sich. Doch vor ihr liegen dunkle Gewässer. Kay sticht unerschrocken in See, um der Stimme folgen zu können und trifft auf ein in der Luft schwebendes, junges Mädchen im orangen Regenmantel. Das fröhliche Lebewesen gibt Kay die Gabe helles Licht entsenden zu können. Durch diese Fähigkeit gelingt es ihr die Welt langsam wieder zum Leben zu erwecken. Ihr Ziel ist es in immer mehr Gebieten die Sonne strahlen zu lassen und der Landschaft die Farben und das Leben zurückzugeben. Allerdings trifft sie dabei immer wieder auf große dunkle Wesen. Doch mit der Zeit kommt Kay drauf, dass nicht alle dunklen Wesen eine schwarze Seele besitzen.
Im Verlauf des Spiels werden immer wieder Dialoge in Form von Tagträumen und Halluzinationen vorgetragen, die das Thema Einsamkeit, Mobbing oder Eifersucht aufgreifen. Die Schule ist nur einer von vielen Abschnitten im Spiel in denen wir gegen die Ausgrenzung anderer Mitschüler kämpfen müssen. Dabei kann die Erzählweise durchaus sehr erdrückend auf den Spieler selber wirken. Mit Sätzen wie "Und dann bringen wir dich um!" oder "Hose runter!" werden gesammelte Erlebnisse und Eindrücke mit realem Hintergrund verarbeitet. Es fragt sich dabei, ob die Spieler damit umgehen können und sie sich dieser schweren Last wiedersetzen können. Folgt einfach dem Licht und ihr werdet es herausfinden.
Gameplay & Steuerung
Mit einem Druck auf die L2-Taste wird ein Lichtimpuls entsendet, welcher euch beliebig oft den rechten Weg weist. Doch Vorsicht, denn auf dem Weg zum Ziel verbergen sich viele Gefahren und dunkle Monster mit großen Zähnen. Ihr müsst also im richtigen Augenblick Wasserabschnitte überqueren, um nicht von den fiesen Kreaturen gefressen zu werden. Obwohl die meisten Herausforderungen eher einfach zu meistern sind, ist es mir persönlich, durch meine Ungeduld, dennoch des Öfteren passiert, dass mich ein dunkles Monster gefressen hat. Doch die Entwickler haben äußerst faire Wiedereinstiegspunkte erstellt, die uns direkt vor den problematischen Hindernissen platzieren. Am hellen Punkt angekommen müsst ihr nur noch die R2-Taste drücken um die fremde Lichtquelle zu befreien, welche in euren knall-orangen Rucksack gezogen werden. Die lichterfüllten Lebewesen scheinen überraschenderweise eine Abbildung euer Selbst zu sein. Doch mehr will euch nicht verraten.
Die Steuerung des Holzbootes ist übrigens sehr einfach gehalten und wird alleinig mit dem Analogstick gesteuert. Nur ab und zu war mir die Richtungsanzeige des Bootes ein Rätsel.
Des weiteren kann Kay zu Fuß auch springen, um kleine Erhöhungen zu bewältigen. Mehr Steuerungsfunktionen gibt es im Spiel nicht, was somit eine einfache Handhabung verspricht.
Das Optionsmenü fällt relativ üppig aus. Neben der technischen Performance lassen sich die Intensität der Steuerung, die Vibrationsstärke sowie auch diverse Audiomodi einstellen. Selbst für die TAA-Schärfe (Anti Aliasing/Kantenglättung) lässt sich justieren.
Die einzelne Spielabschnitte lassen sich problemlos einzeln ansteuern. So können ganz praktisch die versäumten Sammelobjekte nachträglich gefunden werden.
Übrigens Sammelobjekte! Diese können im Spielverlauf in Form von Briefflaschen gesammelt werden und Tauben lassen sich von bestimmten Positionen verjagen. Letzteres bietet uns dank einer kurzen Flugsequenz einen groben Überblick über die nähere Umgebung. In dieser Sequenz können neue versteckte Aufenthaltsorte von weiteren Tauben oder Briefflaschen entdeckt werden
Die meisten Trophäen werden fast schon ganz automatisch freigeschalten. So macht es erfreulicherweise besonders zu Beginn sehr oft „Bling“. Platin sollte somit für Trophäen-Jäger einfach zu erreichen sein. Der Wiederspielwert ist allerdings eher gering. Einen Multiplayer gibt es, abgesehen vom relativ niedrigen UVP Preis, natürlich nicht. Doch das wäre in jeder Hinsicht eine fataler Fehler, da sonst die Einsamkeit komplett verloren gehen würde. Vielleicht hätten verschiedene Entscheidungspassagen die Spieler zu einer zweiten Runde eingeladen.
Grafik & Sound
Schwarze Häuser, graue Straßenzüge und der dunkle Himmel geben den Spielern eine erdrückende Stimmung wieder. Gegenüber gestellt sind die bunten, befreiten Gebiete, welche voller Farben und blauen Himmel gezeichnet sind. Der Wechsel zwischen diesen zwei Welten ist optisch als auch seelisch deutlich spürbar. Die Grafik ist kein Meilenstein auf höchstem Niveau, was in diesem Spiel nicht das Ziel war. Die diversen Welten und Abschnitte sehen sehr knackig, scharf und atmosphärisch stimmig aus. Auch die Fahrten auf dem Boot machen in grafischer Hinsicht einen sehr positiven Eindruck. Eher solide erschien mir die Lebendigkeit der Spielwelt. Es gibt bis auf die dunklen Monster und Tauben kaum Leben. Doch darunter hätte wiederum, neben einem Co-op Gameplay, erneut die Einsamkeit gelitten. Und Einsamkeit bedeutet schlichtweg auf sich ganz allein gestellt zu sein.
Untermalt wird die unangenehme Stimmung von "unangenehmer" Musik im positiven Sinne. Sphärische, teils klemmende Klänge werden durch auflösende, fröhliche Akkorde befreit. Der Soundteppich und die Musikauswahl sind äußerst passend gewählt. Auch Soundeffekte, wie das Plätschern der Bootsfahrten oder die Annäherung von gefräßigen Monstern sind sehr stimmungsvoll. Im 5.1 Surround-Sound wird Kays Verzweiflung und die Bedrängnis der Monster perfekt wiedergegeben.
Fazit
"Sea of Solitude" ist grandios in seiner Darstellung der Einsamkeit. Die Grafik ist stimmig und der Sound passend. Lediglich der Wiederspielwert ist eher gering. Denn dafür gibt es einfach zu wenig Sammelobjekte und leider keinerlei Nebenaufgaben. Auch die Entscheidungsfreiheit ist sehr stark eingegrenzt, was vermutlich auch nötig war um das Gefühl der Leere die richtige Atmosphäre verleihen zu können. Im Verhältnis zum Einführungspreis bietet das Spiel jedoch mehr Inhalt als der Käufer vermuten mag. Denn was kann mehr Wert sein, als über seinen eigenen Schatten springen zu können. In diesem Fall handelt es sich klar um den Schatten der Einsamkeit und Verspottung. Lasst euch nicht verdrängen oder unterkriegen. Ihr seid alle was Besonderes und jeder von euch hat unendlich viele Chancen dies auch unter Beweis stellen zu können. Von mir bekommt das Spiel eine klarer Kaufempfehlung und das Prädikat: „Das müsst ihr unbedingt gespielt haben!“
Pro
- Einsamkeit, Verstoßung und Mobbing werden ohne Kompromisse vorgeführt
- Dialoge sind trotz englischer Sprache leicht verständlich und der Untertitel ist gut leserlich
- Grafik und Sound kreieren eine erdrückende, passende Stimmung
- die Qualität des Spiels und der damit verbundene Lerneffekts sind unbezahlbar
Contra
- geringer Wiederspielwert
- keine Nebenmissionen
- kaum Abwechslungen bei den Missionszielen
Wertung
9.0Sehr gut
Kaufempfehlung
100%Absoluter Pflichtkauf
Getestet wurde Sea of Solitude auf PS4 von Andreas Erber. Das Spiel lag uns zum Zeitpunkt von unserem Test in Version1.00 vor. Das Test Exemplar / der Review Code für Sea of Solitude wurde uns von Electronic Arts kostenlos zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!