Mortal Shell · Test
Veröffentlicht am 19.08.2020 von Tobias Creter
Soulslike, Soulslite oder vielleicht etwas ganz Neues?
Mit dem Erstlingswerk Mortal Shell wagt sich das 2017 gegründete und im Core-Team nur vier Mann starke Entwicklerstudio Cold Symmetry gleich an ein Soulslike ran. Ein mutiger Schritt, denn damit müssen sie sich und ihr Spiel direkt mit den Besten des Genres messen lassen. Aber die Jungs wissen, was sie tun, haben bereits Erfahrung mit AAA Spieleentwicklung gesammelt und lieben die Souls Spiele. Und ich muss sagen, schon der erste Trailer hat mich durchaus beeindruckt und neugierig gemacht. Doch Mortal Shell macht nicht nur optisch einen guten Ersteindruck, es hat auch ein paar frische Ideen an Bord, um sich von Dark Souls und Bloodborne abzuheben. In diesem Test erfahrt ihr, ob sich das Spiel für eingefleischte Souls-Veteranen lohnt und ob es auch für Neueinsteiger ins Genre geeignet ist.
Such dir eine sterbliche Hülle und rein in die Action
Mortal Shell ist ein düsteres Rollenspiel mit hohem Schwierigkeitsgrad und gnadenlosen Bosskämpfen, bei dem man als Spieler auf Entdeckungsreise geschickt wird. Es gibt keinen strengen linearen Storyverlauf, so könnt ihr eurem Abenteuerdrang einfach (fast) komplett freien Lauf lassen. Man startet zunächst als hüllenlose Gestalt und wird in einem kleinen Tutorial mit der Steuerung vertraut gemacht. Danach findet man sich in Fallgrimm wieder, einer zerfallenen Landschaft in der unzählige Gefahren lauern. Zum Glück trifft man schnell auf die erste namensgebende sterbliche Hülle eines noch unbekannten toten Kriegers, in die man sogleich schlüpft. Doch bevor man nicht weiß, in wessen Haut man da steckt, ist die Hülle wenig hilfreich.
Alle sammelbaren Objekte im Spiel sind erstmal unbekannt und müssen ausprobiert werden, um zu erfahren, welche Wirkung sie haben. Je öfter man sie benutzt, umso vertrauter wird man mit deren Verwendung und der Effekt kann sich nicht nur verändern, sondern sogar umkehren. So stellt sich ein Pilz zum Beispiel beim ersten Mal noch als giftig heraus und kostet euch Lebensenergie. Doch wenn man ihn öfter benutzt, schützt er sogar eine Zeit lang vor Giftschaden.
So muss auch eine Hülle zuerst identifiziert werden, um danach mit weiteren Einblicken neue Fähigkeiten freizuschalten. Einblicke erhält man aus Gegenständen und beim Besiegen von Gegnern. Zusätzlich benötigt man noch Tar zum Upgraden, den man ebenfalls aus getöteten Feinden extrahiert. Falls ihr mal sterben solltet, behaltet ihr alles bis auf das gesammelte Tar und startet am letzten Checkpoint neu. Doch wie in Bloodborne kann man sich auch hier zum Ort des Ablebens zurück begeben und dort das verlorene Tar wieder einsammeln. Nur falls ihr auf dem Weg dort hin erneut sterben solltet, ist alles endgültig weg. Also aus den gemachten Fehlern lernen und nochmal von Vorne. So kämpft man sich Stück für Stück weiter voran und erkundet die Spielwelt auf der Suche nach Items, neuen sterblichen Hüllen und Abkürzungen, bis man alle Bosse erlegt hat, um das Gebot des mysteriösen "Dunklen Vaters" zu erfüllen. Die Story erklärt sich dabei mehr durch das Erlebte, sowie die gefundenen Hinweise in Textform. Zwischensequenzen sind eher selten.
Gameplay & Steuerung
Das Gameplay erinnert natürlich sehr stark an die legendäre Dark Souls Reihe und an das ebenfalls vom Entwickler From Software stammende Bloodborne. Daraus machen die Entwickler aber auch kein Geheimnis. Man hat sich die Souls-Formel genommen und sie mit eigenen Ideen und Gameplay-Elementen gepaart, um etwas Neues zu erschaffen. Dabei wurden der hohe Schwierigkeitsgrad, das Leveldesign und die Kampfsteuerung als solide Basis genommen. Auch in Mortal Shell läuft man durch eine relativ offene Spielwelt, sammelt unterwegs wichtige Items ein, schaltet Abkürzungen frei und schnetzelt sich mit riesigen Waffen durch Gegner und Bosse. Und dabei sollte man stets mit unangenehmen Überraschungen rechnen und zu Allem bereit sein. Wer unbedacht einfach drauf los rennt, wird sicher schon sehr schnell in der ersten Bärenfalle stecken oder von hinterlistigen Gegnern attackiert werden, die sich feige in der Ecke verstecken. Selbst vor harmlos wirkenden Fröschen sollte man sich in Acht nehmen. Wenn irgendetwas nach einer Falle oder einem Hinterhalt aussieht, dann hört auf diese Vorahnung und rennt nicht hirnlos rein.
Verteidigen kann man sich anfangs nur mit einem Schwert, das mit Kombinationen aus schnellen und harten Schlägen gegen die Feinde eingesetzt werden kann. Es sind beliebige Kombos mit kurzem und langem Tastendruck möglich. Ein schneller Ausweichschritt nach Hinten oder zur Seite schützt euch vor Treffern. Aber soweit ist das ja nichts Neues. Doch in Mortal Shell habt ihr gegenüber den Souls-Titeln einen ganz entscheidenden Vorteil, der das Spiel auch wesentlich einsteigerfreundlich macht: Ihr könnt euch jederzeit Verfestigen, also in der aktuellen Position versteinern und seid dann für kurze Zeit vor einem Treffer komplett geschützt. Das funktioniert sogar dann, wenn ihr bereits zum Schlag angesetzt habt oder in der Luft und bringt dadurch eine neue taktische Komponente in den Nahkampf. Einige besonders harte Treffer lassen sich damit zwar nicht vollständig blocken aber die sind optisch vorher erkennbar. Der Cooldown für diese Fähigkeit ist zum Glück relativ kurz und so kann und sollte man dieses Feature möglichst oft in die eigenen Angriffe einbauen. Zusätzlich zur genretypischen Ausdauer gibt es hier auch Entschlossenheit, die sich durch erfolgreiches Parieren von gegnerischen Attacken auflädt. Mit genug Entschlossenheit kann man Spezialfähigkeiten der Waffen nutzen, die man allerdings zuvor freischalten muss. Denn nicht nur die Hüllen kann man Upgraden, auch die Waffen lassen sich mit den richtigen Ressourcen mehrstufig verbessern.
Es gibt vier verschiedene Hüllen zu finden, die aber alle optional sind. Man kann das Spiel auch durchspielen, ohne je in eine menschliche Hülle zu schlüpfen – das macht es aber deutlich schwerer. Jede Hülle hat unterschiedliche Werte für Haltbarkeit, Ausdauer und Entschlossenheit. Außerdem unterscheiden sich die freischaltbaren Fähigkeiten teilweise voneinander.
Und die Hüllen haben noch einen ganz entscheidenden Vorteil: Wenn euch ein Gegner das letzte bisschen Lebensenergie raubt fallt ihr nicht gleich tod um, ihr werden aus euerer Hülle geschlagen und habt dann die Möglichkeit noch Mal in sie zurückzukehren. Dabei solltet ihr euch nur nicht treffen lassen, denn sonst segnet ihr mit ziemlicher Sicherheit endgültig das Zeitliche. Falls ihr es zurück in die Hülle schafft, erhaltet ihr erneut einen vollen Lebensbalken. Durch relativ teure Upgrades der Hüllen kann man sich später sogar noch eine dritte Chance freischalten.
Mortal Shell gibt euch keinen einzigen richtigen Pfad vor, viele Wege können zum Ziel führen. So sind auch einige Bosskämpfe optional und an vielen Stellen kann es auch hilfreich sein, einfach mal an den Gegnern vorbei zu rennen. Denn überall, wo euch viele Feinde gleichzeitig attackieren kann es sehr schnell vorbei sein. Holt euch die Feinde möglichst einen nach dem Anderen. Für Entdecker ist Mortal Shell ein wahrer Traum. Die offene Welt lädt zum vorsichtigen Erkunden ein und ein Risiko einzugehen wird immer belohnt. Nur leider verläuft man sich auch schnell an den relativ ähnlich aussehenden Kreuzungen, insbesondere am Anfang im Waldgebiet. Eine Karte oder einen Kompass gibt es nicht, also müsst ihr euch merken, wo ihr lang müsst.
Die Controllerbelegung ist fest vorgegeben aber für meinen Geschmack so gut durchdacht, dass ich da auch garnichts ändern wollen würde. Die Empfindlichkeit und Vibration lässt sich stufenlos einstellen. Auch an eine Möglichkeit die X und Y Achsen zu invertieren wurde gedacht. Die Steuerung ist schnell erlernt und Eingaben werden immer flüssig umgesetzt. Lediglich die Navigation durch die Menüs wirkt träge. Und Achtung: Das Spielgeschehen läuft auch weiter, wenn ihr im Inventar seid. Sucht euch dafür also lieber immer zuerst einen sicheren Platz. Die wichtigsten Gegenstände kann man auf sechs Schnellzugriffsplätze verteilen, für die man das Inventar nicht extra öffnen muss.
Grafik & Sound
Für das erste Spiel eines so kleinen Entwicklerstudios sieht Mortal Shell wirklich hervorragend aus. Es erreicht natürlich nicht ganz das Niveau eines AAA Titels, muss es aber auch gar nicht, um gut zu funktionieren und Spaß zu machen. Mir sind auch keine gravierenden Fehler aufgefallen und die Performance ist ebenfalls durchgängig gut. Einzig die langen Ladezeiten wenn man stirbt und neu starten muss, sind etwas nervig. Aber vielleicht muss das auch einfach so sein, um den Spieler zusätzlich für sein unbedachtes Handeln zu bestrafen. Die düstere Welt ist anfangs recht monoton, wird aber im weiteren Verlauf doch noch sehr abwechslungs- und detailreich. Es gibt ausreichend unterschiedliche Gegnertypen, die auch immer ein spezielles Vorgehen erfordern und oft mit ihren unerwarteten Angriffen überraschen.
Ein stimmungsvoller Soundtrack untermalt die düstere Atmosphäre und die Soundeffekte sind knackig. Man hört deutlich wenn Gegner attackieren und kann dann schnell reagieren, auch wenn man den Gegner vielleicht grade überhaupt nicht sieht. Eine deutsche Synchro gibt es zwar nicht aber die englische Tonspur ist dafür sehr gut verständlich und alle Texte im Spiel lassen sich auch auf Deutsch umstellen. Manchmal fällt die Schrift allerdings extrem klein aus aber vermutlich ist das ein Bug, der noch behoben wird.
Mortal Shell überrascht auch mit vielen Einstellungsmöglichkeiten. Fünf Tonspuren lassen sich separat regeln, HUD, Untertitelgröße, Erschütterung und Gesundheitsanzeigen sind sehr gut an die eigenen Vorlieben anpassbar. Sogar HDR wird unterstützt und visuelle Effekte wie Bewegungsschärfe oder Bildkörnung lassen sich einstellen. Man kann Mortal Shell wahlweise auch komplett im Pixellook spielen, wenn man das möchte.
Fazit
Mortal Shell ist für mich einer der Überraschungshits dieses Jahr. Mit frischen Ideen, wie dem kurzzeitigen Verhärten als Schutz vor Angriffen und dem explorativen Ansatz, dass man Gegenstände durch mehrfache Benutzung besser kennenlernt und beherrscht bringt der Entwickler Cold Symmetry schöne neue Gameplayelemente ins Soulslike Genre. Die kürzere Spieldauer, das vereinfachte Upgradesystem und der schneller beherrschbare hohe Schwierigkeitsgrad machen Mortal Shell zwar einsteigerfreundlicher aber trotzdem auch interessant für Souls-Fans. Grafik und Sound sind durchgängig auf hohem Niveau und es gibt keine größeren Bugs. Lediglich das Leveldesign ist zeitweise optisch etwas eintönig und so verläuft man sich anfangs oft in den sehr ähnlich aussehenden Arealen. Es gibt zahlreiche Gegnertypen, die auch sehr unterschiedlich agieren und somit muss man die eigene Vorgehensweise ständig anpassen. Wenn man erstmal das Timing fürs Parieren, Kontern und Verhärten verinnerlicht hat und in der Hülle steckt, die am Besten zum eigenen Spielstil passt, wird das Spiel spürbar leichter. Sehr fair ist auch, dass man eigentlich immer zwei (später evtl. sogar drei) komplette Lebensbalken zur Verfügung hat. Somit hat man nach einem fatalen Fehler immer noch eine zweite Chance und es kommt insgesamt deutlich weniger Frust auf. Ich kann Mortal Shell nur Jedem, der sich für das Genre interessiert ans Herz legen, zumal das Spiel für nur 29,99€ wirklich sehr viel bietet. Natürlich kommt es nicht ganz an die großen Vorbilder ran, aber das, was das kleine Entwicklerteam hier geschaffen hat, verdient meinen vollen Respekt. Mortal Shell erfindet das Souls-Genre zwar nicht neu aber macht einfach sehr viel richtig.
Pro
- Einsteigerfreundliches Soulslike / Soulslite
- Tolle frische Gameplayideen
- 4 spielbare Charakterklassen
- Guter Spielumfang (ca. 15-20 Stunden)
Contra
- Leveldesign manchmal verwirrend
- Etwas zu lange Ladezeiten
- Menünavigation recht träge
Wertung
9.0 Sehr gut
Kaufempfehlung
85%Sehr empfehlenswert
Getestet wurde Mortal Shell auf PS4 von Tobias Creter. Das Spiel lag uns zum Zeitpunkt von unserem Test in Version 1.02 vor. Das Test Exemplar / der Review Code für Mortal Shell wurde uns von Playstack kostenlos zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!